Balance-Übungen am Küchenstuhl

Das Sporttreiben wird in Corona-Zeiten zum Familien-Event oder aber zur Einzelaktivität. Auch die Mecklenburger Stiere zeigen sich kreativ und finden Alternativen zu geschlossenen Sporthallen und Fitness-Studios. Geschäftsführer Patrick Bischoff, erst seit seit kurzem Chef der Schweriner Profi-Handballer, arbeitet intensiv an Plänen, wie es weitergehen kann, wenn – hoffentlich bald – ein Stück Normalität in den Alltag zurückkehrt.
Herr Bischoff, der Handball ruht. Wie wirkt sich das auf das Stiere-Team aus?
Patrick Bischoff: Gravierend. Wir halten uns, wie alle Sportler, an die strengen Vorgaben, um die Gesundheit unserer Handballer, ihrer Familien und aller anderen zu schützen. Das heißt: Es gibt kein Mannschaftstraining und, wie bekannt, keinen Spielbetrieb. Unsere derzeit 18 Handballstiere trainieren alle individuell und halten sich fit. Um wirtschaftliche Folgen zu minimieren, habe ich Kurzarbeit beantragt. Spieler und Management zeigten Geschlossenheit und trafen diese Entscheidung gemeinsam und mit Zustimmung aller. Wir halten zusammen – auch in dieser schwierigen Zeit.
Wie ist die Stimmung?
Patrick Bischoff: Gut. Als Teamsportler fehlt allen natürlich die Mannschaft. Das Training war immer hin zur Leistungsgrenze ausgerichtet und somit eine Herausforderung. Aber: Es war immer auch etwas, das Spaß gemacht und das Miteinander befördert hat. Insofern arbeiten wir daran, die mentale Belastung so gering wie möglich zu halten.
Ein Lichtblick würde das befördern. Gibt es schon Signale aus der Liga?
Patrick Bischoff: Bis vorerst 19. April unterbleibt der Spielbetrieb ganz. Weitere Informationen liegen noch nicht vor. Bislang gehen wir davon aus, dass die Liga zu Ende gebracht wird. Aber wann das sein könnte, ist angesichts der aktuellen Entwicklung völlig offen. Nachdem jetzt auch die Olympischen Spiele ins nächste Jahr verschoben wurden, muss man sich auch auf andere Szenarien einstellen.
Welche könnten das sein?
Patrick Bischoff: Warten wir es ab… Ich bleibe trotz der einmaligen und außergewöhnlichen Situation ein Stück weit optimistisch. Wir alle hoffen, dass der Stillstand nicht zu lange dauern wird. Denn eines ist schon jetzt absehbar: Auch im Sport wird es massive Einschnitte geben. Sowohl Vereine als auch die Leistungssport- und Profibereiche haben bereits mit wirtschaftlichen Engpässen zu tun. Der DHB geht davon aus, dass sich die Ligen verändern werden…
Wir alle sind dankbar für die großartige Unterstützung, die uns unsere Sponsoren und Förderer gewährt haben. Ich sage haben, denn die Unternehmen sind ebenso in einer schwierigen Lage. Wir stehen in engem Austausch mit unserer Verbündeten aus der Wirtschaft. Insbesondere die kleineren Sponsoren werden erst nach der Krise absehen können, inwieweit ihre Leidenschaft Handball weitere Förderung erfahren kann. Insofern nehmen Plan B und Plan C Gestalt an.
Sie bereiten die neue Spielzeit also schon vor?
Patrick Bischoff: Soweit das möglich ist, ja. Allerdings ohne Verbindlichkeit, weil wir derzeit überhaupt nicht abschätzen können, wie es im August aussieht. Sowohl in Bezug auf Corona als auch mit Blick auf die vor allem wirtschaftlichen Folgen. Wir wollen und werden wieder spielen! Das geht allerdings nicht ohne Unterstützung. Entgegenkommen der Spieler ist ein Stichwort, welches wir intern zu besprechen haben. Aber auch Hallenmieten gehören auf den Prüfstand. Ganz wichtig ist mir die Solidarität unserer großartigen Fans. Wann immer es wieder losgeht: Wer sich dann gleich eine Dauerkarte besorgt, gibt uns starken Rückhalt und die notwendige Planungssicherheit.
Wie wollen Sie sicherstellen, dass den Zuschauern dann auch guter Handball geboten wird?
Patrick Bischoff: Wie gesagt, die Stiere sind nicht untätig. Die Hälfte der Männer sind Profis, deren Tageswerk es ist, fit und einsatzfähig zu sein. Alle, das möchte ich betonen, arbeiten ehrgeizig an den vorgegebenen Zielen. Sie joggen und stählen ihre Athletik. Sie werden kreativ, um die Potenziale zu erhalten und auszubauen. Was sonst im Fitnessstudio passiert, findet jetzt zu Hause statt: bei Beugeübungen am Küchenstuhl, dem Stemmen von Wasserkisten oder dem Einsatz des eigenen Körpergewichtes.
Allerdings brauchen wir das Mannschaftstraining. Es wäre wünschenswert, wenn eine Trennlinie gezogen wird: zwischen öffentlicher Hallennutzung und einer Nutzung für den Profisport. Diesbezüglich suchen wir den Austausch mit Politik und Behörden, um unter Einhaltung aller nur erdenklichen Vorsichtsmaßnahmen geeignete Wege zu finden. Hier ist neben gebotenen Vorsicht auch gesunder Menschenverstand gefragt. Die Sporthalle ist unser Arbeitsplatz. So wie Arbeiter in einer Fabrik produzieren…
Sind Sie mit dieser Forderung allein?
Patrick Bischoff: Nein, alle Spitzensportler, auch Volleyballerinnen, Fußballer und Boxer, stehen vor diesem Dilemma. Und deshalb schieben wir gerade eine Initiative an, eine Interessengemeinschaft Teamsport. Der Schweriner Sportclub (SSC), der Fußballclub Mecklenburg (FCM), der Boxclub Traktor und die Handballerinnen von Grün-Weiß schließen sich mit den Stieren zusammen. Alle haben vergleichbare Sorgen. Deshalb suchen wir als Team das Gespräch. Wir können die Krise nur gemeinsam bewältigen.
Welche Unterstützung wünschen Sie sich?
Patrick Bischoff: Schwerin ist eine großartige Sportstadt. Die Stadt steht nicht gut da ohne den Sport. Die vielen Sportler können nicht ohne die Stadt. Wir müssen gemeinsam eine Menge stemmen. Das wird ein Kraftakt. Aber wo soll das gelingen, wenn nicht in Schwerin? Es braucht einen Schulterschluss durch alle Bereiche – für jeden, der Hilfe benötigt.
Ich wünsche mir, dass wir es gemeinsam schaffen, dem Spitzensport das Überleben zu sichern und vor allem den wertvollen Breitensport in seiner großen Vielfalt zu erhalten. Beides ist eine Bereicherung für das öffentliche Leben. Und das in vielerlei Hinsicht. Sportliche Aktivitäten bringen Menschen zusammen und fördern soziale Kontakte, halten gesund und ermöglichen Kindern und Jugendlichen sinnvolle Angebote. Und ich wünsche mir, dass wir alle am Ende gesund aus der Pandemie hervorgehen, damit wir wieder zusammen unsere Leidenschaft mit großen Emotionen teilen können. Es gilt mehr denn je: Alle für ein Ziel!
Interview: Barbara Arndt